Bekenntnisgrundschulen in NRW: Was geschah 2011?

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Ein turbulentes Jahr begann mit einem Tiefschlag

2011 war ein bewegtes Jahr für die Initiative „Kurze Beine – kurze Wege“. Es begann mit einer herben Enttäuschung: Am 12. Januar 2011 erhielten wir nach langem Warten das erste Signal der neuen rot-grünen Landesregierung zum Thema Bekenntnisgrundschulen. In ihrem Wahlprogramm 2010 hatten die Grünen noch formuliert: „Bei der Aufnahme an den Grundschulen dürfen Kinder nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden“. Das Schreiben eines Beamten aus dem Ministerium der grünen Schulministerin Löhrmann macht jedoch deutlich, dass alles bleiben soll wie von der Vorgängerregierung beschlossen. Damit war klar: Die neue Regierung hatte nicht vor oder war nicht in der Lage, an den diskriminierenden Verfahren bei der Aufnahme an Bekenntnisschulen etwas zu ändern.

Oberstes Ziel: Öffentlichkeit schaffen

Damit hatten wir nicht gerechnet. Zusätzlich zu einer weitergehenden direkten Auseinandersetzung mit politischen Mandatsträgern versuchten wir mit Erfolg, mehr Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen. Im Laufe des Jahres schrieben wir zwei weitere Offene Briefe an die Landesregierung und starteten diese Webseite – die bis Dezember über 30.000 Besuche erhielt. Auf Zeit Online erschien noch im Februar ein Artikel mit dem treffenden Titel: „Wie der Taufschein Nachbarskinder entzweit“.  Im Mai eröffneten wir eine Online-Unterstützerliste, auf der sich bis Dezember über 100 Unterstützer hinter die Forderungen der Initiative stellen.

In den folgenden Monaten veröffentlichten wir Blog-Einträge zu Streitigkeiten rund um Bekenntnisgrundschulen in zahlreichen Städten in NRW, so in EssenWarendorf,  OberhausenAlfenKölnDülmenBonn-BuschdorfGüterslohSaalhausenOeldeKaarstHobergeSiegenHilden.

Wir berichteten über den Parteitag der CDU NRW, die auf ihrem Parteitag im März eine neue Schulart forderte, die christlich-ökumenische Bekenntnisschule. Ähnlich anachronistisch die Bestrebungen in Euskirchen, wo eine mennonitische Gemeinde eine neue Grundschule errichten möchte: MGS als Sonderform der EGS?

Gleichzeitig beschloss die Landespolitik einmütig, mit Unterstützung über Partei- und Religionsgrenzen hinweg: Ab dem Schuljahr 2012/2013 soll der islamische Religionsunterricht im bevölkerungsreichsten Bundesland beginnen und anschließend flächendeckend eingeführt werden. Dazu mag man stehen wie man will: Ein viel größeres Hindernis für erfolgreiche Integration sind allerdings die Regelungen rund um öffentliche Bekenntnisschulen – an denen definitionsgemäß nur Kinder des Schulbekenntnisses aufgenommen werden sollen und auch nur entsprechender Religionsunterricht erteilt wird. Konkret bedeutet das: An einem Drittel der öffentlichen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen gibt es per Definition auch keinen islamischen Religionsunterricht – egal wie viele Kinder dort muslimisch sind.

Von der Freiwilligkeit des Religionsunterrichts

GG Art. 7 Absatz 2:
(2) „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen

Das oben geschriebene illustrierte ein Fall, von dem wir im Juli erfuhren: Die Eltern einer muslimischen Schülerin in Mönchengladbach meldeten ihr Kind vom Religionsunterricht in einer Evangelischen Grundschule ab, woraufhin das Kind der Schule verwiesen wurde. Das absurde daran: Muslimische Kinder stellen an dieser Grundschule die größte Gruppe dar: Von den 287 Schüler/innen sind 26% muslimisch – und nur knapp 18% gehören als evangelisch getaufte Kinder dem Schulbekenntnis an. Dieser Fall erzielte ein überregionales Presseecho, allen voran erschien erneut ein Artikel auf Zeit Online, Schulverweis oder Religionsunterricht.

Die Politik ignoriert die Probleme

Die Landespolitik verfolgt währenddessen unbeirrt das Ziel, Bekenntnisschulen zu stärken: Im Mai erhalten wir Kenntnis von einer Kabinettvorlage, wonach die Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS) geändert werden soll, um darin den Vorrang von Bekenntniskindern an Bekenntnisgrundschulen zu verankern – bislang ist darin keine Rede davon. Womöglich hatten unsere Protestschreiben Erfolg. Auf jeden Fall verschwand die Vorlage wieder in der Schublade.

Im September wird ein neues Schulgesetz verabschiedet. Im Schatten der großen „Schulfrieden“-debatte um Haupt- und Sekundarschule wird mit einer Regelung ganz im Sinne eines Rechtsgutachtens der katholischen Kirche die Bekenntnisschule gestärkt.

Auf ihrem Landesparteitag im November beschließt die Piratenpartei NRW, unsere Initiative zu unterstützen. Von größerer Tragweite ist, dass wir erneut erfahren, dass die AO-GS geändert werden soll. Mit zahlreichen Schreiben wenden sich Mitglieder der Initiative an Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker aller Parteien. Diesmal mit eindeutigem Erfolg. Die Änderung der AO-GS ist vom Tisch, und auf abgeordnetenwatch.de gibt uns Bernhard von Grünberg (SDP-MdL) sogar schwarz auf weiß, dass die hohe Hürde für die Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen gesenkt werden soll:

„Das Quorum soll in der Tat gesenkt werden – und dies halte ich auch für richtig. Wie und auf welche Höhe steht derzeit noch nicht fest. Der Punkt steht aber auf der Agenda und soll zeitnah aufgegriffen werden.“

(nicht geantwortet haben bisher Schulministerin Löhrmann und der integrationspolitische Sprecher der Grünen Arif Ünal)

Neu im Fokus der Initiative: Die Diskriminierung von Lehrkräften

Durch die hohe Dichte an Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen sind Lehrer/innen nichtkatholischen Bekenntnisses benachteiligt, insbesondere wenn es um Leitungspositionen geht. Die entsprechende Petition einer Lehrerin an den Landtag wird ohne eine Lösung für ihr Anliegen und das vieler anderer Lehrer/innen abgelehnt. Das Problem: Zwar durfte sie als evangelische Lehrerin eine kleine katholische Grundschule komissarisch leiten, trotz des Mangels an qualifizierten Bewerbern/innen und der guten Zusammenarbeit mit den Eltern wie auch der örtlichen katholischen Gemeinde durfte sie sich nicht auf die ausgeschriebene Schulleiterstelle bewerben.

Im September erfahren wir vom Schulleiter einer Katholischen Grundschule in Emmerich, der sich engagiert für die Umwandlung seiner KGS in eine GGS einsetzt. Er schreibt einen Brief an die Eltern seiner Schule, in dem er unter anderem den Vorteil einer GGS erläutert, „dass an unserer Schule die Einstellung von kompetenten Lehrerinnen und Lehrern offen für alle Bewerber ist und nicht eingeschränkt durch ihre Nichtmitgliedschaft in der katholischen Kirche“.

Ein Blick nach Niedersachsen

In Teilen Niedersachsens ist die Situation ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen. Allerdings gibt es dort eine Regel, wonach ein bestimmter Prozentsatz an Schüler/innen dem Schulbekenntnis angehören muss, damit die Schule Bekenntnisschule bleiben kann. Dieser Prozentsatz wird an zahlreichen Schulen unterschritten. Statt nun die Schulen umzuwandeln, setzt das Land Niedersachsen regelmäßig das Quorum hoch, so auch 2011, und zwar von 20% auf 30%.

Ausblick 2012

Wir hoffen, dass im neuen Jahr 2012 nicht nur die Parteien in Nordrhein-Westfalen nach sinnvollen Lösungen suchen, sondern dass auch die christlichen Kirchen ihre starre Haltung aufgeben, um

  1. den Elternwillen zu stärken und die Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen zu erleichtern, um die Schulwege für Kinder nicht mehr von ihrem Bekenntnis abhängig zu machen
  2. Chancengleichheit für Lehrerinnen und Lehrer in NRW unabhängig von ihrer Religion zu schaffen
  3. eine befriedigende Lösung für den Religionsunterricht an öffentlichen Grundschulen in NRW zu finden, der den gesellschaftlichen Verhältnissen gerecht wird


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