Bekenntnisschulen NRW 2013: Bewegung, aber noch keine Veränderung

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NRW 2013: Ein Drittel aller öffentlichen Grundschulen bleibt konfessionsgebunden

Vor einem Jahr fassten wir unsere Forderungen so zusammen:

Wir sind gespannt, ob 2013 endlich

  • die Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen erleichtert wird;
  • die Diskriminierung bekenntnisfremder Kinder an Bekenntnisgrundschulen beendet wird;
  • Lehrkräfte an Grundschulen unabhängig vom Bekenntnis landesweit gleiche Anstellungschancen bekommen und das Leitungsproblem wenigstens nicht mehr „konfessionell verschärft“ wird;
  • der Glaube oder Nichtglaube von Kindern bzw. deren Familien ernster genommen wird als es durch eine Aufnahmeerklärung geschieht, die dazu dient, den formell vorhandenen Minderheitenschutz an Bekenntnisschulen auszuhebeln.

Um es kurz zu machen: Obwohl sich 2013 hat die Situation sogar noch deutlich verschärft hat und das Thema viel öffentliche Aufmerksamkeit bekam, hat sich in keinem der oben genannten Punkte gesetzlich etwas geändert.

1) Die Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen bleibt schwer

Seit Jahren wird uns von verantwortlichen Landtagspolitikern bestätigt, dass die Hürde für die Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen viel zu hoch ist. Daher solle das Schulgesetz bald in diesem Sinne geändert werden. Das kündigte zuletzt im April 2013 MdL Sigrid Beer (Schulpolitische Sprecherin der Grünen) in Paderborn an: In den Verhandlungen der Regierungsfraktionen mit beiden Kirchen werde eine Senkung des Umwandlungsquorums von 67% auf 30% diskutiert. Dazu kam es allerdings bisher nicht. Die sogenannte Bestimmungsverfahrensverordnung wurde im  November ohne Aufhebens bis Ende 2016 unverändert verlängert.

2) Die Diskriminierung bekenntnisfremder Kinder an Bekenntnisgrundschulen geht weiter

Natürlich werden einzelne Kinder an öffentlichen und zu 100% staatlich finanzierten Bekenntnisschulen nicht aufgrund ihres Glaubens von Lehrkräften schlechter behandelt. Aber die Ereignisse in diesem Jahr in Paderborn haben deutlich gezeigt, dass insbesondere die regionale Häufung von Bekenntnisgrundschulen eine ganz offensichtliche Diskriminierung von Familien aufgrund ihres Glaubens nach sich zieht. Bekenntnislose Kinder oder solche mit „falschem“ Bekenntnis müssen vielfach erheblich weitere Schulwege in Kauf nehmen, wenn sie nicht am konfessionellen Religionsunterricht oder am Schulgottesdienst teilnehmen wollen.

Die Familie von „Bülent“ aus Paderborn, wo 14 von 23 Grundschulen katholisch sind, wollte dies nicht akzeptieren und versuchte, sich vor Gericht die Aufnahme an der nächstgelegenen Grundschule zu erstreiten, an der ohnehin nur 40% der Kinder katholisch sind. Die Entscheidung in der Hauptsache steht auch Ende 2013 noch aus, aber in zwei verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren wurde dem Schulleiter bestätigt, dass er das muslimische Kind ablehnen dürfe. Er nahm dieses Recht gemeinsam mit dem Schulamtsleiter rücksichtslos wahr, obwohl sich weit über 2000 Unterstützer innerhalb von sieben Tagen in einer Online-Petition für die Aufnahme des Kindes an der Schule einsetzten.

Wir können es bis heute nicht glauben, aber offensichtlich ist diese Form der Diskriminierung mit Recht und Gesetz in Nordrhein-Westfalen vereinbar.

Nicht nur wir sind darüber erstaunt. Selbst der Sozialdezernent der Stadt Paderborn, Wolfgang Walter sagte in einem WDR-Stadtgespräch, das bereits im April ausgestrahlt wurde: „Der Anmeldebogen verstößt spätestens an der Stelle, wo es um die Zwangsteilnahme an Gottesdiensten geht, gegen unsere Verfassung.“ Monsignore Göbel vom Erzbistum Paderborn wunderte sich ebenfalls: „Wir haben an unseren eigenen katholischen Privatschulen selbstverständlich evangelischen Religionsunterricht und für mich ist es keine Frage, dass der auch an katholischen Grundschulen erteilt werden muss. Es steht ja auch im Gesetz, dass er ab 12 Schülern erteilt werden muss.“ (s. hierzu unsere Übersicht über Rechtsgrundlagen der Bekenntnisgrundschulen in NRW.)

3) Lehrkräfte werden an öffentlichen Grundschulen aufgrund ihres Bekenntnisses diskriminiert

Auch in 2013 blieben Leitungsstellen an Bekenntnisgrundschulen unbesetzt, weil Bewerberinnen die falsche Konfession haben; auch 2013 wechselten Lehrerinnen ihre Konfession, um Leitungsposition übernehmen zu können; auch 2013 konnten gut qualifizierte Lehrkräfte keine Festanstellungen an einem Drittel aller öffentlichen Grundschulen in NRW bekommen, wenn sie das Bekenntniskriterium nicht erfüllten. §26 Abs. 6 des Schulgesetzes lautet unverändert: „Lehrerinnen und Lehrer an Bekenntnisschulen müssen dem betreffenden Bekenntnis angehören.“

4) Die Aufnahmeerklärung hebelt den formell vorhandenen Minderheitenschutz an Bekenntnisschulen aus

Eine „Schulmail“ des Schulministeriums vom 5. November 2013 erklärte, dass Bekenntniskinder bei der Aufnahme an öffentlichen Bekenntnisschulen nicht vorgezogen werden dürfen – sofern die Eltern anderer Kinder erklären, dass sie eine Unterrichtung und Erziehung „nach den Grundsätzen des an der Schule vermittelten Bekenntnisses“ wünschen.

Es bleiben aber zahlreiche Unstimmigkeiten, Unklarheiten und Widersprüche: Muss die Willenserklärung schriftlich sein oder nicht? Führt eine spätere Abmeldung vom Religionsunterricht zum Verweis von der Schule oder doch nicht? Wie viel Druck wird auf Kinder ausgeübt, am Gottesdienst teilzunehmen? Warum wird nicht die offensichtlich problematische und unklare diesbezügliche Verwaltungsvorschrift (VVzAO-GSgeändert, sondern durch einen Erlass teilweise in Frage gestellt?

Vor allem aber: Wie glaubwürdig ist es, wenn Eltern bekenntnisloser, evangelischer oder muslimischer Kinder „die ausdrückliche Erklärung abgeben, dass sie ihr bekenntnisfremdes Kind wegen des Bekenntnischarakters“ an einer katholischen Schule „erziehen und unterrichten lassen wollen“? In einer Broschüre der katholischen Kirche wird diese Anforderung konkretisiert: „Es geht nicht nur darum, ob die Willenserklärung formell richtig ist, sondern ob die Eltern die Schule aus religiöser Überzeugung wählen.“ Wir wagen zu bezweifeln, dass die Anmeldeerklärung geeignet ist, die religiöse Überzeugung der Eltern zu ermitteln.

Was sagt die Initiative „Kurze Beine – kurze Wege“?

Die Diskussion um Inklusion, der Fall Bülent und die „Schulmail“ vom November 2013 haben uns zu der Überzeugung gebracht, dass es keine ernsthafte Alternative gibt zu einer Umwandlung aller Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsschulen. Der NRW-Sonderweg in dieser Frage muss endlich beendet werden, damit auch an Grundschulen in NRW gilt, was im Wahl-o-Mat zur Bundestagswahl 2013 von allen demokratischen Parteien bekräftigt wurde, dass nämlich “alle Kinder ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes gemeinsam unterrichtet werden sollen”. Wir hoffen, dass sich die katholische und die evangelische Kirche in ihrer für Februar 2014 angekündigten Stellungnahme dieser Ansicht öffnen. Andernfalls wünschen wir unseren Landtagsabgeordneten, dass sie sich unabhängig davon trauen, Verfassung und Schulgesetz in dieser Frage endlich zu modernisieren.


Was sonst noch geschah in 2013

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