Endlich juristischer Rückenwind: Viele Bekenntnisgrundschulen sind eigentlich Gemeinschaftsschulen

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(zuletzt aktualisiert am 1.9.2013)

Wir kennen das von der Bundesebene: Wenn die Politik es nicht schafft, Lösungen für drängende gesellschaftliche Fragen zu finden, müssen diese Fragen vor Gericht geklärt werden. So auch im Fall der öffentlichen Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen. Seit Jahren konstatieren zahlreiche Politiker/innen und sogar einzelne Kirchenvertreter, dass es durch die geltenden Regelungen rund um Bekenntnisgrundschulen in NRW zu gravierenden Ungerechtigkeiten kommt. An den gesetzlichen Regelungen hat sich seither jedoch nichts verändert. Der Gesetzgeber blieb untätig. Weder im Zusammenhang mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz zur Sicherung kleiner Schulen 2012 noch mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz zur Umsetzung der Inklusion wurden Regelungen zu öffentlichen Bekenntnisschulen angetastet.

Im Juli 2013 kam nun vor dem Verwaltungsgericht Minden das Anliegen eines muslimischen Vaters aus Paderborn zur Verhandlung. Eine katholische Bekenntnisschule hatte die Aufnahme seines Kindes abgelehnt, nachdem der Vater sich geweigert hatte, eine Erklärung zur verpflichtenden Teilnahme seines Kindes am katholischen Religionsunterricht zu unterschreiben. Eigentlich sollte der Fall von einer Einzelrichterin entschieden werden. Die aber gab den Fall an die Kammer zurück.

Im Laufe des Verfahrens habe sich herausgestellt, dass wegen der grundsätzlichen Tragweite das Verfahren auf die Kammer zurückübertragen werden müsse. Dort würden drei Richter mit dem Fall befasst. Er müsse umfangreich geprüft werden. Möglicherweise könne ein Urteil in dieser Sache weitreichende Auswirkungen haben. Konkret geht es vor allem um die Frage, ab welchem Prozentsatz bekenntnisfremder Schülerinnen und Schüler eine staatliche Bekenntnisschule ihren konfessionellen Charakter verliert. „Teilweise werde von 25 Prozent, teilweise von 30 Prozent ausgegangen. Ein Anteil von knapp 60 Prozent wie in der Bonifatiusschule wäre zu hoch“, so die Richterin. Womöglich muss Paderborn die Schullandschaft schon bald an die Realitäten anzupassen.

Dr. Thomas Langer kommt in einem Artikel für die Juristenzeitschrift Legal Tribune online zu dem Schluss, dass kommunale Bekenntnisschulen „grundsätzlich den gleichen Aufnahmebedingungen unterliegen wie die Gemeinschaftsschulen. […] Nach alledem stellt sich die Rechtslage im Fall der Bonifatius Schule eindeutig dar. Da sie in öffentlicher Trägerschaft betrieben wird, darf sie die Teilnahme an Religionsunterricht und Gottesdienst nicht zur zwingenden Aufnahmebedingung machen.“

Wir begrüßen es, dass endlich vor Gericht die Vereinbarkeit der gängigen Aufnahmepraxis mit Recht und Gesetz geprüft wird. Ärgerlich nur, dass der Paderborner Familie damit vorläufig nicht geholfen ist. Am 30.8.2013 hat das Verwaltungsgericht einen Eilantrag abgelehnt, wonach das Kind vorläufig in der Schule Aufnahme finden sollte. Das Gericht erklärt die Ablehnung des Gesuchs so (zitiert nach rechtsindex.de):

Nach Auffassung der 8. Kammer ist der Antragsteller nicht auf den Besuch der Bonifatiusschule angewiesen, weil er eine Gemeinschaftsgrundschule in Paderborn erreichen kann. Dieser Schulbesuch sei zwar mit höherem Aufwand verbunden, der aber nach den für Grundschüler maßgeblichen allgemeinen Kriterien zumutbar sei. Die Vorwegnahme der mit der Klage erstrebten Einschulung sei auch deshalb nicht erforderlich, weil ein Erfolg im Klageverfahren derzeit nicht als überwiegend wahrscheinlich erscheine.

Das Gericht deutet allerdings auch an, dass es der Klage in der Hauptsache viel Verständnis entgegenbringt und die Politik in der Pflicht sieht, die Schullandschaft den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen:

Wer sein Kind zu einer Bekenntnisschule schicke, müsse damit rechnen, dass es gemäß dem Leitbild dieser Schule beschult werde. Allerdings dürfe der Bekenntnischarakter einer solchen Schule nicht ausgehöhlt werden. Dies könne der Fall sein, wenn sich die Schule etwa wegen der Zusammensetzung der Schülerschaft zu weit von ihrer Ausrichtung entferne und sich das Verlangen nach Teilnahme am Religionsunterricht deshalb als ungerechtfertigt erweise. Hierzu und zu den Folgen eines „Bekenntnisschwundes“ gebe es keine starren rechtlichen Vorgaben.

Die 8. Kammer sieht es als vorrangige politische Aufgabe an, die rechtlichen Rahmenbedingungen an gesellschaftliche Veränderungen anzupassen. Der Landesverfassungsgeber sei aus bundesrechtlicher Sicht jedenfalls nicht verpflichtet, öffentliche Bekenntnisschulen einzurichten. Er könne auch vorrangig Gemeinschaftsgrundschulen anbieten.

Es bleibt spannend, wie das Gericht im Hauptverfahren mit dem Fall umgeht. Und wann endlich die Landespolitik die von vielen Fachpolitikern lange angekündigte Erleichterung der Umwandlung von Bekenntnisschulen gesetzlich umsetzt.

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