VG Minden: Keine Religionsfreiheit für kurze Beine

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Das Verwaltungsgericht Minden hat am 28.2.2014 entschieden (vollständiges Urteil hier, und hier die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts):

Auch eine öffentliche Bekenntnisschule mit nur 40% katholischen Kindern darf von allen Kindern verlangen, den katholischen Religionsunterricht zu besuchen.

Das Kind Bülent ist mittlerweile ohnehin an einer anderen Schule und würde wohl kaum an die Bonifatiusschule zurückwechseln wollen. Dennoch hat Bülents Familie erreicht, dass der Gesetzgeber vom Gericht ausdrücklich ermahnt wurde: Die Politik ist gefordert, endlich für eine Anpassung der Schullandschaft an die Realität zu sorgen. Das Gericht legt dem Landtag sogar eine Verfassungsänderung nahe.

Das Gericht stellt fest, dass die Schullandschaft in Paderborn nicht dem Bedarf entspricht: „Wegen der weitreichenden Folgen des Verlusts der Eigenschaft als Bekenntnisschule sei es Sache des Schulträgers, im Rahmen seiner Befugnis zur örtlichen Schulplanung notwendige Anpassungen zur Schaffung eines bedarfsgerechten Schulangebots vorzunehmen.“

Auch die Landespolitik wird aufgefordert, tätig zu werden: „Es sei vorrangig eine politische Aufgabe, die noch offenen Fragen zur Bedeutung der Bekenntniszugehörigkeit bei dem Besuch öffentlicher Bekenntnisschulen und der Anpassung an geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu klären. Aus bundesrechtlicher Sicht sei der Landesverfassungsgeber nicht verpflichtet, öffentliche Bekenntnisschulen einzurichten. Er könne auch vorrangig Gemeinschaftsgrundschulen anbieten.“

Presseschau

28.2.2014

Sehenswerter Beitrag: Vertreter von Stadt und Bezirksregierung können die Vorwürfe des Gerichts nicht nachvollziehen, dass sie ihre Schullandschaft nicht an die gesellschaftlichen Bedingungen angepasst haben. Tatsächlich fehlt hierfür die gesetzliche Grundlage.

„…Die nächste „Gemeinschaftsschule“ ist 3,5 Kilometer entfernt. Bülent müsste 55 Minuten vor Schulbeginn den Bus nehmen und dabei auch noch umsteigen. Das wollten die Eltern dem Siebenjährigen nicht zumuten. Seit letztem Sommer fahren sie ihn täglich mit dem Auto in die Schule und holen ihn ab….“

„…Den Einwand, dass in der Schule die katholischen Schüler längst in der Minderheit seien, ließ das Gericht nicht gelten. Die Richter mahnten aber die Stadt Paderborn, für ein bedarfgerechtes Schulangebot zu sorgen, und notfalls eine Schule ohne Elternbefragung umzuwandeln. Mit anderen Worten: Die Schulplaner müssen reagieren, wenn sich die Bevölkerungsstruktur in einer Stadt ändert.“

1.3.2014

„…[Das Gericht] kam dann doch noch zu einer in Teilen überraschenden Pointe: Die Auffassung der Stadt und der Bezirksregierung ihnen seien da die Hände gebunden, teilte das Verwaltungsgericht ausdrücklich nicht. Es sei rechtlich nicht nachvollziehbar, dass nur die Eltern in einem komplizierten Quorums-Verfahren dafür sorgen könnten, dass aus einer Bekenntnisschule eine Gemeinschaftsschule wird.“

 

„Wir brauchen keinen Eisernen Vorhang in den Gemeinden!“

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Mit diesen Worten wandte sich 1955 ein Schulleiter gegen die Pläne, eine Gemeinschaftsgrundschule in eine Bekenntnisschule umzuwandeln. Im Gegenzug warnte die katholische Kirche, Freunden der Gemeinschaftsschule drohe der „Zorn Gottes“. Der Ton hat sich geändert, mittlerweile schätzt die katholische Kirche das göttliche Temperament anders ein und ist bereit, Bekenntnisschulen aufzugeben.

In der Sache erinnert indes vieles noch heute an die Situation vor über 60 Jahren. Im Jahr 2013 führte erst die Klage einer Paderborner Familie gegen die Ablehnung ihres Sohnes an einer städtischen Bekenntnisschule dazu, dass sich der nordrhein-westfälische Landtag endlich der Thematik annimmt und eine konkrete Gesetzesinitiative ankündigt. Die Neue Westfälische Zeitung berichtet am 27.2.2014 über eine Veranstaltung mit der Grünen Landtagsabgeordneten Sigrid Beer. Sie stellt in Aussicht, dass noch vor dem Herbst das Schulgesetz geändert werden soll, um die Umwandlung von Bekenntnisschulen erheblich zu erleichtern. Offenbar soll dieser Weg sogar gegen die Stimmen der CDU eingeschlagen werden, die sich immer noch gegen Änderungen sperrt.

Hauptverfahren zu „Bülent“ vor dem VG Minden

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Am Freitag den 28.02.2014 wird um 12:00 Uhr das Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht Minden im Falle des muslimischen Paderborner Jungen fortgesetzt, der seit Beginn des aktuellen Schuljahres gezwungen ist, eine über vier Km von seinem Wohnort entfernte Grundschule zu besuchen, obwohl er in unmittelbarer Nähe einer städtischen Grundschule wohnt. Der Schulleiter hatte ihn am Einschulungstag gemeinsam mit seinen Eltern des Schulhofs verwiesen und ein Hausverbot erteilt, nachdem die Eltern der geforderten Teilnahme ihres Sohnes am katholischen Religionsunterricht und an katholischen Gottesdiensten nicht zugestimmt hatten. Weiterlesen

Schulrechtsänderung zur Beendigung von Diskriminierung an Bekenntnisschulen?

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Es ist kaum ein paar Monate her, dass mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz (SchrÄG) zum letzten Mal das Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen geändert wurde. Ziel war die Umsetzung der Inklusion. Unsere Stellungnahme zum Gesetzentwurf fand offensichtlich keine Berücksichtigung. Nach wie vor dürfen auch öffentliche „inklusive Schulen“ nach religiösen Kriterien ausgrenzen.

Am 19. März 2014 findet im Schulausschuss die erste öffentliche Anhörung zur nächsten Gesetzänderung statt. Das gemeinsam von SPD, Grünen und CDU eingebrachte „Gesetz zur Weiterentwicklung der Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen und zur Änderung schulgesetzlicher Vorgaben“ enthält bislang keine Hinweise auf eine Neuregelung an Bekenntnisschulen.

Aber vielleicht trauen sich die Parteien ja doch, im Verlauf des Verfahrens endlich die diskriminierenden Regelungen aus dem Schulgesetz zu entsorgen. Weiterlesen

Wie kurze Wege der Bildungsgerechtigkeit dienen

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Sämtliche im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sind sich einig: „Alle Kinder sollen ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes gemeinsam unterrichtet werden.” Die deutsche Bildungsrealität sieht anders aus. In einem Artikel auf Migazin.de über Segregation im Klassenzimmer untersucht Autorin Gabriele Voßkühler Ursachen und Folgen des Phänomens, dass in Deutschland Kinder häufig „nach Herkunft getrennt“ zur Schule gehen. Weiterlesen