Unantastbares Elternrecht dem Erziehungsrecht der Kirche untergeordnet

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Ein Kirchenhistoriker untersucht den „ambivalenten Umgang der Kirche mit dem Elternrecht“ und stellt die Konfessionalität des Religionsunterrichts in Frage.

„[…] Zur Durchsetzung ihrer schulpolitischen Grundsätze versuchte sich die Kirche nicht nur der katholischen bzw. christlichen Parteien zu bedienen, sondern auch die katholischen Eltern zu mobilisieren. Der Umgang der Kirche mit dem Elternrecht war dabei sehr ambivalent. Auf der einen Seite wurde versucht, gegenüber dem Staat ein demokratisches Recht zur Geltung zu bringen. Die Kehrseite war, dass die Kirche die Gewissensfreiheit nach innen keineswegs gelten ließ, sondern die Eltern unter Androhung jenseitiger Höllenstrafen auf die Konfessionsschule verpflichtete. Das vorgeblich unantastbare Elternrecht war dem Erziehungsrecht der Kirche untergeordnet und damit de facto nur ein Spielball im Kampf um die Durchsetzung der kirchlichen Interessen in der schulischen Erziehung.

Letztlich waren die schulpolitischen Grundsätze der Kirche nicht pädagogisch begründet, sondern Ausfluss einer antimodernistischen, antipluralistischen Grundhaltung, die erst mit dem II. Vatikanischen Konzil eine notwendige Revision erfuhr. Entscheidender als die kaum zur Kenntnis genommene Konzilserklärung über die christliche Erziehung, die in mancherlei Hinsicht noch in den Spuren der Pius-Enzyklika blieb, war die in den großen Konzilstexten ausgesprochene grundsätzliche Anerkennung von Toleranz, Pluralismus und Menschenrechen.
Seit dem Konzil beginnt sich auch in Deutschland zögerlich eine stärker anthropologisch-pädagogische Argumentation durchzusetzen, ohne dass die eigenen konfessionellen Interessen (nunmehr insbes. im Hinblick auf den Religionsunterricht) verleugnet würden. Bezeichnend ist m.E. die neue Rangfolge in der Frage des Erziehungsrechts, wie sie sich 1975 in dem Beschluss „Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich“ der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland niederschlägt. Hier wird der Vorrang des Erziehungsrechts der Eltern ohne Wenn und Aber betont. Neu ist der Hinweis auf das „Recht zur Selbsterziehung“, das sich mit zunehmender Reife entfalte. Die Rolle der Kirche wird hingegen deutlich herabgestuft; ihr fällt zusammen mit dem Staat, den Wissenschaften und den gesellschaftlichen Gruppen nur noch „eine regelnde und unterstützende Aufgabe“ zu (Abs. 1.2.5).
Bedauerlich ist, dass man in unseren Tagen erneut den Eindruck gewinnen kann, dass die katholische Kirche ihre Stimme in Bildungsfragen vor allem pro domo erhebt. So wichtig die Frage des Religionsunterrichts ist, so sehr hat man als Kirchenhistoriker seine Zweifel, ob die Argumente für dessen Konfessionalität tatsächlich für die Ewigkeit gelten. Darüber hinaus, so meine ich, müssten sich die Katholiken stärker in die allgemeine bildungs- und schulpolitische Debatte einmischen. Ansätze dazu gibt es durchaus, doch werden diese in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, weil sie nicht über den Status von Kommissionspapieren hinausgelangen. So plädiert beispielsweise die Kommission 3 „Bildung und Kultur“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in ihrer Erklärung „Schule – ihr Auftrag in der sich verändernden Gesellschaft“ (1994) u.a. gegen die einseitige Hervorhebung von Fächern mit vermeintlich besonderem Wissensanspruch und die damit korrespondierende Herabstufung von Fächern wie Musik, Sport und Bildender Kunst. Man verfalle hier, so die Kritik, in einen überholten „Stoffmechanismus“, statt die Anspruchshöhe in jedem der Fächer sachlich wie methodisch zu sichern – ein Hinweis, der Gehör finden sollte, aber wohl nicht wird.“

aus: Thomas Breuer, 14.01.2002, Der Kampf zwischen Staat und katholischer Kirche um die Volksschule im Wandel der politischen Systeme 1918-1949

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