WDR 5 Stadtgespräch zu Bekenntnis-Grundschulen in Paderborn: Einigkeit über Reformbedarf

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Soll das Schulgesetz geändert werden?

„Ja!“ Das war die einhellige Antwort aller Teilnehmer an der Podiumsdiskussion in Paderborn auf die Frage, ob die gesetzlichen Regelungen für Bekenntnisgrundschulen in Nordrhein-Westfalen geändert werden sollten, um den gesellschaftlichen Verhältnissen gerecht zu werdenSelbst der Vertreter des Erzbistums Paderborn, Monsignore Joachim Göbel, sieht Reformbedarf und sprach sich für Änderungen der derzeitigen problematischen Situation aus. Man darf hoffen, dass eine Neuauflage des Kulturkampfes ausbleibt. Die schulpolitische Sprecherin und parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Sigrid Beer, kündigte eine baldige Erleichterung der Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen nach dem Vorbild der Regelungen in Niedersachsen ein.

In den Verhandlungen der Regierungsfraktionen mit beiden Kirchen werde eine Senkung des Umwandlungsquorums von 67% auf 30% diskutiert. Wenn diese Regelung in Kraft tritt, steht an Bekenntnisschulen eine Umwandlungswelle bevor. Derzeit sind landesweit noch ein Drittel aller Grundschulen in NRW bekenntnisgebunden, 90% davon katholisch.

Wie viele Bekenntnis-Grundschulen braucht das Land? Diese Frage stand im Mittelpunkt des WDR5-Stadtgespräches am 15. April 2013 im Historischen Rathaus in Paderborn (ausgestrahlt am 18. April und online nachzuhören). Auf dem Podium diskutierten die Landtagsabgeordneten Sigrid Beer (Grüne) und Daniel Sieveke (CDU), Monsignore Joachim Göbel (Leiter der Hauptabteilung Schule und Erziehung im Erzbistum Paderborn), Michael Schäder (Sprecher der Stadtschulpflegschaft Paderbornund die Bestsellerautorin Eva Müller („Gottes hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt“). Außerdem bezogen die Moderatoren zahlreiche Gäste aus dem Publikum mit ein.

Berichterstattung über die Diskussion

Ein ausführlicher Bericht über die Diskussion findet sich auf den Seiten der Paderborner Grünen, die Neue Westfälische Zeitung berichtete am 18.4.2013 unter dem reißerischen und reichlich irreführenden Titel „Muslime denken an eigene Grundschule„.

ZITATE AUS DER DISKUSSION

Sigrid Beer (MdL Bündnis 90 / Die Grünen):

„Die Regierungsfraktionen sind zur Zeit in Gesprächen mit den Kirchen des Landes, um zu neuen Regelungen zu kommen. Es besteht in der Tat Regelungsbedarf.“

„In den Elterninitiativen z.B. in Bonn sitzen auch viele kirchennahe Menschen, die sagen, Kirche darf nicht zu Aussonderung und Segregation in der Gesellschaft beitragen. Das ist ein gemeinsames Anliegen. Die besondere Situation in Paderborn und Umland ist, dass die Eltern die Wahl nicht eben gerade nicht haben.“

„In diesem Fall könnten wir ruhig dem bayerischen Vorbild folgen. Die Bayern haben 1968 schon gesagt, wir haben keine Schulen mit Bekenntnisprofil, weil wir eine Gemeinschaftsgrundschule haben, die sich nährt aus den christlichen Kulturwerten und der Bildungstradition. Und diese Schule haben wir in Nordrhein-Westfalen genauso. Die Hürde von 2/3 für eine Umwandlung in eine Gemeinschaftsgrundschule ist extrem hoch. An dieses Quorum für die Umwandlung müssen wir ran, weil wir keine Mehrheit für eine Verfassungsänderung haben. Das ist der Inhalt der Gespräche, die wir derzeit mit den Kirchen führen.“

„Wollen Kirchen dazu beitragen, Separation und Segregation in der Gesellschaft zu befördern? Diese Frage müssen wir unter dem Aspekt der gemeinsamen Wertevorstellung diskutieren. Die Landesregierung will die Schulgesetzgebung verändern, damit auch die Regelungen und die Instrumente verändert werden. CDU und FDP machen die Verfassungsänderung nicht mit, das habe ich aus den bisherigen Diskussionen entnommen, aber über die Instrumente können wir miteinander reden.“

„Ich finde eine Rechtsänderung, die die Niedersachsen vorgenommen haben, interessant: 1. ist das Quorum dort auf 30% runtergesetzt worden, 2. welche Stimme zählt wie, 3. wenn vier Jahre nacheinander nicht mindestens 70% der Kinder konfessionell gebunden sind, gibt es automatisch ein Recht des Schulträgers auf Umwandlung. Diese Änderung wollen wir jetzt in einem Dialogprozess gemeinsam angehen. Die Gesellschaft hat sich verändert, das muss man zur Kenntnis nehmen. Es geht nicht nur um konfessionell und religiös Gebundene, sondern auch um die, die sich überhaupt nicht religiös gebunden haben. Wir müssen über einen Ethikunterricht für die 15% Konfessionslosen nachdenken.“

„Wir müssen auch die Frage der Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern überarbeiten. In dieser Gegend gibt es kaum Chancen für evangelische Kolleginnen und Kollegen, was die Schulleitung angeht. Man muss auch sehen, dass hier kaum evangelischer Religionsunterricht erteilt wird, das ist auch eine Rechtsbeschneidung der evangelischen Christinnen und Christen und Paderborn. Und wir haben ja ganz bewusst islamischen Religionsunterricht eingeführt – wie würde es denn mit islamischem Religionsunterricht an den Schulen mit Bekenntnisprofil aussehen? Wir müssen auch in diesem Punkt an den Schulen integrationspolitisch zusammenführen. „

Monsignore Joachim Göbel (Leiter der Hauptabteilung Schule und Erziehung im Erzbistum Paderborn):

„Die Eltern sollen eine Wahlmöglichkeit haben. Die Eltern bestimmen, in welche Richtung ihre Kinder erzogen werden sollen. Das können sie nur, wenn es unterschiedliche Schulen mit unterschiedlichen Profilen gibt. Etwa 37% der Grundschulkinder im Land sind katholisch und etwa 30% der Schulen, also von den Mengen passt das ungefähr. Paderborn ist kein gutes Beispiel, hier gibt es im Verhältnis zu viele Bekenntnisschulen.“

„Ich bin froh, dass wir über die Frage der Lehreranstellung ins Gespräch kommen.“

„Wenn es weniger katholische Schulen gibt, die aber ein klares Profil haben, haben wir wieder eine echte Wahlmöglichkeit. Wir sind bereit, mit der Politik zu sprechen. Bisher können nur die Eltern eine Schule umwandeln.“

„Wir haben an unseren eigenen katholischen Privatschulen selbstverständlich evangelischen Religionsunterricht und für mich ist es keine Frage, dass der auch an katholischen Grundschulen erteilt werden muss. Es steht ja auch im Gesetz, dass er ab 12 Schülern erteilt werden muss.“

„Sie werden nicht von mir verlangen, dass ich mit den Eltern für die Umwandlung einer katholischen Bekenntnisschule eintrete. Ich bin für eine Vielfalt.“

„Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das Quorum für die Umwandlung herabgesetzt wird. In unserem Bistum werden im Jahr 5-10 katholische Grundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen umgewandelt. Es kann mir nur Recht sein, wenn in Paderborn eine echte Wahlmöglichkeit geschaffen wird, damit die verbleibenden katholischen Schulen ein echtes Profil entwickeln.“

Michael Schäder (Stadtschulpflegschaft Paderborn):

„In Paderborn gibt es keine Wahlfreiheit. Die Schulwege zu Gemeinschaftsgrundschulen sind teilweise unzumutbar.“

„Früher wurde das Anmeldeverfahren viel liberaler gehandhabt. Seit 2 Jahren waren verstärkt Aufnahmeanträge zu unterschreiben. Der aktuelle Antrag hat eine besondere Schärfe, wenn er sagt, die Eltern müssen einen ausdrücklichen Wunsch zur Beschulung im Bekenntnis zum Ausdruck bringen. Das ist der Versuch, durch die Hintertür zu sagen, damit habe ich eine homogene, bekenntniswillige Schülerklientel an der Schule, durch die eine Bekenntnisschule rechtfertigt wird. Das geht überhaupt nicht.“

„Wenn man hier und heute die niedersächsischen Regelungen anwenden würde, würden alle katholischen Bekenntnisschulen bis auf eine einem Umwandlungsverfahren unterzogen, weil die Zahlen nicht ausreichen. Es gibt nur eine Schule, in der mehr als 70% der Kinder katholisch sind. Es muss eine gesetzliche Regelung zur Überprüfung des Status einer Schule geben. Die gegenwärtige Regelung manifestiert Dinge, die vor 30-40 Jahren entschieden wurden.“

Daniel Sieveke  (MdL CDU, musste die Veranstaltung leider kurz nach Beginn verlassen):

„Wir haben Wahlmöglichkeiten. Die Eltern hatten und haben die Möglichkeit, Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umzuwandeln. Wir können uns aber gerne über die Quoren unterhalten.“

Eva Müller (Journalistin und Buchautorin, „Gott hat hohe Nebenkosten“):

„Die Bekenntnisgrundschulen in Nordrhein-Westfalen sind der extremste Fall der Verflechtung von Kirche und Staat, weil sie zu 100% öffentlich finanziert werden und die Kirche nicht der Träger ist. Trotzdem gelten dort kirchliche Regeln.“

„Für eine feste Stelle müssen die Lehrer katholischen Glaubens sein. Wenn man von Qualität spricht: Bei den Lehrkräften beschränken sich die Bekenntnisschulen auf 30% des Arbeitsmarktes. 60% der Menschen werden bei der Personaleinstellung ausgeschlossen.“

„Es ist schwierig, wenn das Recht auf Umwandlung nur bei den Eltern liegt. Es gibt Fälle, wo eine Umwandlung sinnvoll ist, obwohl die Eltern sich nicht mehrheitlich dafür aussprechen. Wir müssen auch die schwierige Diskussion über die Gründe der Eltern führen, die eine Umwandlung nicht möchten.“

In einem Exkurs über die Anmeldebögen an Paderborner Bekenntnisschulen wollte keiner die Verantwortung für die Formulare übernehmen

Anmeldebogen eine Katholischen Grundschule in Paderborn

Anmeldebogen eine Katholischen Grundschule in Paderborn

  • Monsignore Göbel: „Die Fragebögen kommen nicht von der Kirche.“
  • Wolfgang Walter (Sozialdezernent Paderborn): „Wir als Schulträger waren es nicht. Der Anmeldebogen verstößt spätestens an der Stelle, wo es um die Zwangsteilnahme an Gottesdiensten geht, gegen unsere Verfassung. Diese Grenze sollte man auch bei der katholischen Bekenntnisschule nicht überschreiten. Für den Bogen sind Schulleitung und Schulaufsicht verantwortlich. Wir wollen, dass der Bogen verändert wird.“
  • Sigrid Beer: „Ich habe den Anmeldebogen mit der Staatskanzlei und mit den Ministerien diskutiert. Natürlich ist es verfassungsrechtlich nicht ok, es ist theologisch nicht ok und es ist pädagogisch auch nicht ok.“

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Die Stadtschulpflegschaft Paderborns bezieht bei dem Thema eindeutig Stellung. Sie schlägt folgende Sofortmaßnahmen vor, um die Situation in Paderborn zu entschärfen:

  • Anpassung (Entschärfung) des Anmeldebogens für die Aufnahme an einer öffentlichen Bekenntnisgrundschule
  • Vorrang für wohnortnahe Beschulung vor Konfessionszugehörigkeit („Kurze Beine, kurze Wege„)
  • Durchsetzung der Sofortmaßnahmen durch einen Runderlass des NRW Schulministeriums an die Schulaufsichtsbehörden

Der vollständige Wortlaut der Erklärung mit Erläuterungen zu den Vorschlägen steht auf der Homepage der Stadtschulpflegschaft Paderborn zur Verfügung.

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