Wohnortnahe Grundschule für alle offen und diskriminierungsfrei

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Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Grünen in NRW, spricht im Interview mit dem Humanistischen Pressedienst (3. September 2014) über die Notwendigkeit, das Schulgesetz in NRW zu ändern, um gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen.

Auszüge aus dem Interview:


hpd: Im letzten Sommer hatte vor allem die Verweigerung der Einschulung des Erstklässlers Bülent, Sohn muslimischer Eltern, in eine katholische Bekenntnisgrundschule in Paderborn für erhebliches Unverständnis gesorgt. Kann sich ein solcher Fall wiederholen, wenn die Grünen-Pläne gesetzlich umgesetzt worden sind?

S. Beer: Wir wollen, dass die wohnortnahe Grundschule für alle SchülerInnen offen und diskriminierungsfrei zugänglich ist. Die Gemeinschaftsgrundschule gewährleistet das Prinzip “kurze Beine – kurze Wege” sowie Pluralität gegenüber Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen. Außerdem betonen wir, dass auch die negative Religionsfreiheit gewährleistet sein muss.


hpd: Angekündigt sind von den Grünen bereits Änderungen zum Landesschulgesetz. Wird denn Ihr Koalitionspartner, die SPD, dabei mitmachen? Bekenntnisschulen sind in der NRW-Verfassung geregelt – eine Bestandsgarantie. Wer eine grundsätzliche Änderung will, muss die Verfassung ändern. Wie sehen Sie die Chancen hierfür? Woher soll die nötige 2/3-Mehrheit im Landtag kommen?

S. Beer: Auch die SPD sieht die Veränderungsnotwendigkeiten wie übrigens die Kirchen auch. Und deshalb führen wir auch seit einiger Zeit sehr konstruktive Gespräche mit ihnen dazu. Das Schulgesetz können wir mit einfacher Mehrheit ändern. Für eine Verfassungsänderung müsste neben den Piraten mindestens die FDP mitmachen. Die CDU ist dazu nicht bereit, sie bestreitet bislang sogar noch die Notwendigkeit, das Quorum zu verändern. Auch bei der FDP ist eine Zustimmung für eine Verfassungsänderung derzeit nicht in Aussicht.

Vollständiges Interview lesen


Kommentar der Initiative „Kurze Beine – kurze Wege“: Wir begrüßen eine Änderung des Schulgesetzes, die wichtige Punkte wie das Initiativrecht der Kommunen festschreibt und die das Quorum senkt. Ursprünglich war angekündigt worden, das Schulrechtsänderungsgesetz noch vor den Sommerferien im Landtag einzubringen, dazu kam es aber nicht. Es steht zu befürchten, dass Eltern auch bei der im November bevorstehenden Anmeldung für das Schuljahr 2015/16 nicht von neuen Bedingungen ausgehen können.

Sinnvoller als eine Gesetzesänderung wäre allerdings eine grundsätzliche Lösung, nämlich die im Interview angesprochene Änderung der Landesverfassung. Die Gemeinschaftsgrundschule sollte, wie in fast allen anderen Bundesländern auch, die alleinige Regelschule werden. Es ist grundsätzlich nicht akzeptabel, dass an staatlichen Schulen Schüler wie auch Lehrkräfte nach religiösen Kriterien diskriminiert und ihre Grundrechte einschränkt werden (etwa das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht). Abgesehen davon sind die Voraussetzungen für staatliche Bekenntnisgrundschulen entfallen: Es gibt kaum noch Bekenntnisgrundschulen, an denen mehr als 70% der Schülerinnen und Schüler dem Schulbekenntnis angehören. Die formal geforderte und früher einmal vorhandene Homogenität der Schülerschaft ist aufgrund einer veränderten Gesellschaft nicht mehr gegeben.

4 Gedanken zu „Wohnortnahe Grundschule für alle offen und diskriminierungsfrei

  1. sehr geehrte damen und herren,
    meine frau (historikerin) und ich (soziologe und doktorand der theologie) wünschen für lehrerinnen und (insbesondere unsere) kinder gemeinschaftsgrundschulen, also eine änderung des schulgesetzes und der verfassung.
    da unser ältester sohn 4 jahre alt ist würden wir eine örtliche initiative in münster auch unterstützen.
    die sog. kathol. bekenntnisgrundschulen verstossen m.E. auch gegen das II. Vaticanum.
    herzl. grüsse,
    silvano chow

  2. Sehr geehrter Herr Chow,
    als Mitglied der Initiative danke ich Ihnen für die Unterstützung unseres Anliegens. Bitte wenden Sie sich an Ihre Landtagsabgeordneten aller Parteien, insbesondere aber auch an jene von FDP und CDU, und dringen Sie auf die notwendigen Änderungen. Tatsächlich freuen mich persönlich besonders die Unterstützer, die sich aus ihrem christlichen Grundverständnis heraus für Gemeinschaftsgrundschulen als Schulen für alle Kinder einsetzen. Ihre These, dass das zweite vatikanische Konzil einen Wendepunkt darstellt, der unter anderem die konfessionelle Trennung im Schulwesen grundsätzlich in Frage stellt, halte ich für plausibel. Es dürfte kein Zufall sein, dass nach dem II. Vatikanum (1962-1965) auch in tief katholischen Bundesländern wie Bayern und Rheinland-Pfalz die öffentlichen Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt wurden. Die katholischen Kleriker wehrten sich allerdings auch Ende der 60er Jahre noch massiv gegen die Umwandlung, wie dieser Artikel schön illustriert: http://www.zeit.de/1967/14/kampf-um-die-konfessionsschule
    Beste Grüße nach Münster
    Max Ehlers

  3. Hier übrigens eine katholische Stimme, die genau diese Frage untersucht. Hatte im Corpus Iuris Canonici von 1917 (Canon 1374) die katholische Kirche noch festgelegt, daß katholische Schüler keine gemischten oder neutralen Schulen besuchen dürften, so habe mit dem Konzilsdokument Gravissimum Educationis ein entscheidender Sinneswandel stattgefunden. Felix Neumann schreibt weiter: „Die Situation, daß es staatliche Bekenntnisschulen gibt, die zur Ghettobildung an den staatlichen Restschulen führen, halte ich für unerträglich: Was ist das für ein Zeugnis der Kirche, wenn sie konfessionelle Reinheit über die Option für die Armen stellt? Was heißt das für ihr ansonsten sehr deutliches Plädoyer für die Religionsfreiheit, wenn die Kirche sich selbst solche Monopole einrichtet? Und schließlich: Was ist das für ein katholisches Schulwesen, das sich in einem heterogenen Wohlfühlklima einigelt? Wenn die Bekenntnisschule nicht einmal mehr aus religiösen Gründen gewählt wird, sondern wegen ihres geringen Anteils an Ausländern – gilt für sie dann noch das, was Gravissimum Educationis für einen Maßstab anlegt?“ (siehe http://fxneumann.de/2009/09/02/schule-auf-taufschein/ )

  4. Die Umwandlung von Bekenntnisschulen in GGS ist zunächst einmal ein formaler Akt, der nichts über die tatsächlichen Verhätlinisse aussagt.
    Für Nichtgläubige oder Andersgläubige stellt sich die Frage, ob an solchen Schulen die Religionsfreiheit (insb. § 57 Satz 4) gewährleistet wird.
    Aufgrund eigener Erfahrungen kann ich sagen, dass mit steigendem Anteil religiös gebundener Schüler bzw. Eltern die Wahrscheinlichkeit für Verstöße gegen die Religionsfreiheit steigt. Hiervon sind umgewandelte ehem. Bekenntnisschulen in besonderer Weise betroffen.

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