Katholische Kirche: Bekenntnisschulen sind „wichtig für die Pluralität in der Gesellschaft“

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Das meint zumindest Andrea Gersch, Schulrätin für Grundschulen des Erzbistums Köln in einem Interview des Domradio Köln. Sie möchte damit der Ansicht entgegentreten, die Bekenntnisschule in staatlicher Trägerschaft sei ein „Auslaufmodell“.

Wir haben den Artikel einem Faktencheck unterzogen.

1. Die katholische Kirche hat überhaupt keine Bezugspunkte zu staatlichen Bekenntnisschulen.

Die Bekenntnisschule ist eine öffentliche Schule, die sich in Trägerschaft der Kommune befindet. Insofern hat die katholische Kirche überhaupt keine Bezugspunkte zu diesen Schulen.

Es ist wirklich so, dass die Bekenntnisschule eine so genannte staatliche Schule ist. Insofern brauchen keine Gedanken daran verschwendet zu werden, dass die Kirche Einfluss nimmt. Das ist schlicht nicht möglich. 

Richtig ist, dass Bekenntnisgrund- und -hauptschulen in NRW öffentliche Schulen in kommunaler Trägerschaft sind, die zu hundert Prozent vom Staat bezahlt werden. Richtig ist ferner, dass die Kirche nicht darüber bestimmt, welche Schülerinnen und Schüler an den Schulen aufgenommen werden und wer an den Schulen lehren darf. Dies ist durch Landesgesetz festgelegt.

Interessant ist, dass Gersch behauptet, die katholische Kirche habe „keine Bezugspunkte zu diesen Schulen“, und dass die Kirche nicht „Einfluss nimmt“. Einige Zeilen weiter wird Gersch zitiert:

Der Bekenntnisschule ist aufgegeben, dass sie Kinder erziehen und bilden soll im katholischen oder evangelischen Bekenntnis. Das hängt natürlich sehr stark an den handelnden Personen. Insbesondere Schulleitungen spielen da die zentrale Rolle.

Die Schulleitung muss laut Schulgesetz dem Bekenntnis der Schule angehören, an einer katholischen Schule also katholisch sein. Bis vor kurzem gab es an den Bekenntnisschulen nur Religionsunterricht in dem entsprechenden Bekenntnis. Es werden nur katholische bzw evangelische Gottesdienste besucht. Feste wie St. Martin werden selbstverständlich eng mit der Kirchengemeinde abgestimmt. An katholischen Schulen ist in aller Regel der Kommunionunterricht eng mit der Schule abgestimmt. Obwohl es sich also um öffentliche Schulen handelt, haben katholische und evangelische Kirche unweigerlich Bezugspunkte zu den Schulen.

2. Bekenntnisschulen machen ein Angebot für alle Menschen auch wenn sie nicht christlich sind

Die Mütter und Väter unserer Landesverfassung haben nach dem Unrechtsregime der Nazis damals entschieden, es sei gut, wenn wir neben einer Regelschule, der Gemeinschaftsgrundschule, auch ein Angebot haben für katholische oder evangelische Christen oder Eltern, die vielleicht nicht christlich sind, eine solche Erziehung aber für ihr Kind wünschen. (…)

Das steht im Widerspruch zur Landesverfassung, dort heißt es:

In Bekenntnisschulen werden Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. (Landesverfassung NRW Artikel 12 Abs. 6)

Tatsächlich haben auch Gerichte wiederholt bestätigt, dass die Plätze an Bekenntnisschulen zunächst entsprechend getauften Kindern offenstehen, erst wenn dann noch Plätze frei sind, können auch andere Kinder berücksichtigt werden. Dies führt jedes Jahr dazu, dass Kinder von Bekenntnisschulen abgelehnt werden, weil sie nicht in dem entsprechenden Bekenntnis getauft sind. Es gibt Fälle, in denen Familien zwei Kinder in unterschiedlichen Grundschulen haben, weil selbst die Geschwisterkinder mangels Taufe nicht an der katholischen Schule aufgenommen wurden.

Wir haben eine große Pluralität in NRW – es gibt Kitas jeglicher Couleur, es gibt weiterführende Schulen in vielen Variationen. Da stellt sich schon die Frage, gerade auch an diejenigen, die ein Interesse daran haben, die Bekenntnisschule in ihrem Bestand anzuzweifeln: Wie ist es denn mit der Pluralität im Grundschulbereich bestellt? Soll es da eine Einheitsschule geben? Das hört sich für mich an vielen Stellen jetzt so an.

Die katholischen und evangelischen Bekenntnisschulen sind ausdrücklich Angebotsschulen, die den Kindern offenstehen, die dieses Bekenntnis haben, aber auch ganz, ganz vielen anderen, die eben diese Erziehung für ihr Kind wünschen. Sie können konfessionslos sein, sie können eine andere Religion haben, ein anderes Bekenntnis. Diese Schulen sind wirklich offen für Eltern, die dies für ihr Kind wünschen. 

Es gibt zahlreiche Kommunen in NRW, in denen es ausschließlich Bekenntnisgrundschulen gibt (2013 traf dies für 75 Kommunen in NRW zu). Hier kann man keineswegs von „Pluralität“ und „Angebot“ sprechen. In vielen Dörfern und Stadtteilen gibt es außerdem nur eine Schule bzw. wenige Schulen, die für einen Sozialraum sinnvoll in Frage kommen (Stichwort „kurze Wege für kurze Beine). Hier kann es für Familien eine erhebliche Benachteiligung darstellen, wenn sie an einer beliebten Bekenntnisschule in ihrer Nachbarschaft aufgrund der fehlenden Taufe das Nachsehen haben – während katholisch getaufte Kinder mit Elterntaxi auch von weither vorgezogen werden. Umgekehrt werden übrigens Nichtchristen und Konfessionslose an Gemeinschaftsgrundschulen nicht vorrangig aufgenommen.

3. An katholischen Bekenntnisschulen sind nur 30-40 Prozent der Kinder katholisch.

Und im Übrigen – das wird auch oft missverstanden – gibt es keine einzige Schule in NRW, die ausschließlich Kinder des Bekenntnisses hat. Bezogen auf das Erzbistum Köln haben die meisten katholischen Bekenntnisschulen zwischen 30 und 40 Prozent katholischer Kinder. 

Die Aussage ist richtig. Keine Bekenntnisgrundschule in NRW ist zu 100% bekenntnishomogen, obwohl diese Bekenntnishomogenität laut Bildungsministerium NRW „prägender Gesichtspunkt in formeller Hinsicht“ ist. (so eine Stellungnahme vom 8. März 2010). Das Ministerium bezog sich damit auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts NRW von 2016, wonach…

Zur formellen Homogenität gehört, dass formell der Religionsgemeinschaft angehörende Kinder ihre Schulaufnahme vorrangig vor bekenntnisfremden Kindern beanspruchen können. Jenen gewährt Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW einen im Grundsatz vorbehaltlosen Zugang zu Schulen ihres Bekenntnisses, während Art. 13 LV NRW bekenntnisfremden Kindern einen Anspruch auf Zugang zu einer Bekenntnisschule nur ausnahmsweise dann einräumt, wenn sie in zumutbarer Entfernung weder eine Schule des eigenen Bekenntnisses noch eine Gemeinschaftsschule erreichen können.

Richtig ist auch, dass in NRW weniger als die Hälfte der Kinder an katholischen Bekenntnisschulen katholisch sind. Im landesweiten Schnitt sind 46,7% der Grundschulkinder römisch-katholisch getauft. Dennoch kommt es, wie oben bereits erwähnt, immer wieder dazu, dass Kinder an Bekenntnisschulen aufgrund eines Anmeldeüberhangs nicht aufgenommen werden, weil die Plätze zunächst an die entsprechend getauften Kinder vergeben werden müssen.

4. Der Besuch einer Grundschule ist mit dem Besuch eines Fußballspiels zu vergleichen, deswegen müssen alle zahlen, egal ob es für sie relevant ist

DOMRADIO.DE: Aber wie sieht es denn mit den Finanzen aus? Der Staat zahlt ja für diese Schulen und die Kirche nicht. 

Gersch: So ist es. Die Kirche ist ja weder Träger noch in einer anderen Art und Weise dort involviert. Grundsätzlich muss man sich aber einfach überlegen: Unser Gemeinwesen, also die Gemeinschaft der Menschen in unserem Bundesland, wird ja in ihren vielfältigen Ausprägungen von allen finanziert.

Ich kann hier nicht das eine gegen das andere ausspielen. Ich kann nicht die Finanzierung des Sports aufgeben und sagen, das müsse alles für die Oper verwendet werden. Wir zahlen alle dafür, dass zum Beispiel Polizeieinsätze bei Fußballspielen stattfinden können. Egal, ob ich jemals in ein Fußballstadion gehe.

Es geht doch letztlich darum, dass wir eine Weite und eine Breite befürworten – eine Pluralität, die für eine Vielfalt unseres Lebens in diesem Bundesland steht. Und ich sehe wirklich nicht, warum jetzt an so einer Stelle – zumal die Bildung unserer Kindern betreffend – etwas abgeschnitten werden soll. 

Diesem Argument können wir nicht folgen. Uns drängt sich ein anderer Vergleich auf: Man stelle sich vor, dass es im Rahmen des ÖPNV einer Stadt katholische, evangelische und sonstige Busse gäbe. Die Fahrer katholischer Busse sind katholisch, die Busse gelten oftmals als sauberer und pünktlicher, allerdings wird zunächst nur Katholiken der Zutritt gewährt, nur für die verbliebenen Plätze werden auch andere ÖPNV-Nutzer aufgenommen. Dennoch werden auch diese Buslinien ebenso wie alle anderen aus dem städtischen Etat finanziert.

5. Die Gemeinschaftsschule in Bayern ist irgendwie christlicher als die in NRW

Wenn die Schulen in Bayern Gemeinschaftsschulen heißen, wird meistens allgemein gefolgert, dass das identisch sei mit unseren Gemeinschaftsgrundschulen. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn man mal das Kleingedruckte liest. Denn es ist ausdrücklich so, dass in Bayern das Bekenntnis innerhalb der Schule eine wichtige Rolle spielen soll. Das hört man nicht am Namen, aber wenn man näher hinschaut, ist das klar benannt.

In Bayern gibt es nur eine Schulform im Primarbereich. Dort ist eine Grundschule einfach nur eine Schule, die allen Kindern gleichermaßen offensteht. Wir konnten trotz Recherche keinen Anhaltspunkt für die Behauptung finden, dass das religiöse Bekenntnis in der bayerischen Grundschule abgesehen vom Religionsunterricht eine besondere Rolle spielt. Weder die Aufnahme von Kindern noch die Anstellung von Lehrkräften ist dort von der Religionszugehörigkeit abhängig. Es lohnt sich übrigens, einmal einen Blick auf die Beschreibung der Gemeinschaftsgrundschule in der Landesverfassung NRW (Art 12, Abs 6) zu werfen, die sich ausdrücklich auf christliche Bildungs-und Kulturwerte als Grundlage bezieht:

(3) In Gemeinschaftsschulen werden Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen.

6. Der Anteil von Bekenntnisschulen entspricht in etwa dem Anteil des Bekenntnisses bei den Kindern

Es ist „festzustellen, dass der Anteil der katholischen Bekenntnisschulen beispielsweise im Erzbistum Köln bei etwa 26 Prozent der Grundschulen liegt. Und 29 Prozent der Kinder sind katholisch. Wenn man das also in Relation setzt, ist das durchaus angemessen.“

Wenn man das weiterdenkt, dann sollten in NRW nicht nur 30% der Grundschulen in NRW katholisch sein (aktuell sind es 29%) , sondern auch 22% völlig konfessionsfrei (aktuell 0%) und 20% evangelisch (aktuell 3%) bzw. muslimisch (aktuell 0%).

7. Viele Muslime schätzen katholische Grundschulen

Erwähnt sei noch ein Aspekt: Es gibt auch viele Muslime, die sagen: Ich möchte mein Kind lieber auf eine katholische Bekenntnisschule schicken, weil ich weiß, dass dann zumindest ein Gottesbezug gegeben ist. 

Solche Fälle mag es durchaus geben. Allerdings ist zu vermuten, dass dieser Satz oft vor allem deswegen im Anmeldegespräch mit der Schulleitung fällt, weil die Eltern hoffen, dass sie damit den Platz für ihr Kind an einer begehrten Schule in Wohnortnähe sichern können.

8. An Bekenntnisschulen werden Schüler mit der entsprechenden Konfession in der Regel bevorzugt

Bekenntnisschulen sind Schulen in staatlicher Trägerschaft. Sie wurden nach dem Krieg nach damaligen religiösen Proportionen eingerichtet. Heute gibt es sie nur noch in NRW und in Niedersachsen. Wenn es zu Engpässen bei der Aufnahme neuer Schüler kommt, bekommen Schüler mit der entsprechenden Konfession an Bekenntnisschulen in der Regel den Vorzug.

Der Nachklapp zum Interview gibt den Sachverhalt richtig wieder, wenn man im letzten Satz die drei Wörter „in der Regel“ streicht. An Bekenntnisschulen müssen Kinder der betreffenden Konfession nach geltender Rechtsprechung vor allen anderen aufgenommen werden.